Fruestueck all day long!
Spaeter wird man sicher sagen, dasz dies eine der groeszten Errungenschaften unserer Generation gewesen ist.
Der Fortschritt ist also nicht mehr aufzuhalten, so wie der taegliche Tagebuchauszchnitt.
Ende Anfang Juni 1972
Gestern habe ich noch bis spaet in die Nacht ueber mein Leben nachgedacht. Ich rekapitulierte, analysierte und negierte. Das heiszt nicht etwa, dasz ich bereue. Nein, vielmehr verdraenge ich die negativen Ereignisze. Jedenfalls die, die sich verdraengen laszen.
Die wichtigen Erfahrungen im Leben, die erste Zigarette, das "erste Mal", den ersten Suff, die erste Ehe, die erste Scheidung, etc. vergiszt man nie.
Es gibt natuerlich peinliche, unangenehme Momente, aus denen man etwas lernen sollte. Da ich bisher nie aus ihnen gelernt hatte, suchte ich regelmaeszig meinen Therapeuten auf.
In New York war es auszerdem sehr modern, seine Problemchen dem Therapeuten anzuvertrauen.
Von jeder Sitzung versprach ich mir viel, doch als ich die Praxis verlaszen hatte, fuehlte ich mich meist sogar noch schlechter.
Schlechter, weil ich nicht in der Lage war, eine andere Loesung meiner Probleme zu finden, als mit Dr. Kaplan darueber zu reden.
Wenn ich lange Zeit nicht bei ihm war, begann ich mich komisch zu fuehlen. Mein Gemuet begann sich zu verdunkeln und das ist doch komisch, oder?
Frueher sind die Menschen zum Priester, Rabbi oder Schamane gegangen, wenn sie sich um ihr Seelenheil sorgten.
Der sekulaere Groszstadtmensch ging zum Therapeuten.
Hier auf dem Ozean brauchte man aber keinen.
Man haette unmoeglich ein Sofa auf mein Flosz stellen koennen.
Keine Chance, Doktor!
All mein Handeln war instinktiv. Nur mein Geist analysierte. So lange bis mein Koerper siegte.
Ohnehin waren meine Instinkte hier staerker ausgepraegt, als sie es in der Stadt waren.
Dort verlief mein Leben in Bahnen, man benahm sich gemaesz des Kodex.
Es gab einen Staat, ein Gesetz, eine Moral und Konventionen.
Hier hatte ich Geschlechtsverkehr mit einem toten Delfin unter freiem Himmel und fand Gefallen daran.
Ich asz wenn mein Koerper es mir befahl, ich asz was sich mir darbot.
Das erste Mal in meinem Leben fuehlte ich mich frei.
Auf fuenf, hoelzernen Quadratmetern lernte ich Freiheit kennen und schaetzen.
In New York empfand ich mein Leben als gut. Nicht besonders, nicht aufregend, gut. Keine Exzesze, nichts Verruecktes. Frueher vielleicht, aber jetzt nicht mehr.
Mit der Subway fuhr ich zur Arbeit, wie jeder andere, bezahlte meine Miete, wie jeder andere und am Samstag sah ich Football im TV, wie jeder andere.
Ich teilte mir ein Buero mit 50 Idioten, die alle das Gleiche taten wie ich. Was wir gemein hatten, war die gleiche Halbherzigkeit mit der wir unsere Arbeit erfuellten und die gleiche, miese Bezahlung.
Dabei konnte kein Mensch eine derartige Taetigkeit lange, mit Begeisterung, durchfuehren.
Mein Job bestand darin, Zuschauerbriefe fuer die drei groeszten Fernsehanstalten zu beantworten.
Den ganzen Tag war ich damit beschaeftigt, Briefe von Rentnern und Hausfrauen aus dem Mittleren Westen, zu lesen und zu beantworten.
Gab es im Vormittagsfernsehprogramm mal ein zu tief geschnittenes Dekoltee zu sehen, fingen sofort mindestens 1 Millionen Personen an, sich schriftlich darueber bei den Sendern zu beschweren.
All diese Briefe muszte ich lesen und beantworten.
Natuerlich gab es gewisze Vordrucke die man, angepaszt an die Person die da schrieb, zur Hilfe nehmen konnte.
Mein System war es, die Schreiben zu katalogisieren.
Ich teilte die Beschwerden in Gruppen ein.
All die Menschen, die sich ueber einen sichtbaren Nippel, einer Athletin bei der Leichtathletikweltmeisterschaft beschwerten, erhielten einen Brief mit der paszenden Entschuldigung. Und all die Menschen, die sich aufregten, dasz ein Kandidat in einer Quizshow 666 Dollar gewann, erhielten einen anderen, eigenen Brief, in dem man das Geschehene bedauerte.
Das Verfaszen der Antwortschreiben war dabei die leichteste Uebung.
Das Lesen der Beschwerden laugte mich geistig aus.
Ich konnte keine Empathie aufbringen, fuer die, die dem Sex, der Blasphemie und dem Moralverfall im TV den Kampf angesagt hatten.
Nie haette ich solchen Dingen derartig viel Wichtigkeit zu gesprochen.
Meine Zeit damit verschwenden, einen Brief an den Fernsehsender zu schreiben? Niemals!
Beim Lesen der Briefe stellte ich mir den Verfaszer immer bildlich vor. Ich sah sie, wie sie vor ihrer Glotze hockten, sich ansahen, was ihnen widerstrebte und sofort zum Schreibtisch rannten.
Die meisten der Leute, die da schrieben, waren mittlerweile bestimmt schon tot. Herzinfarkt.
Gesund war das nicht.
Ich war froh, dasz ich keine Briefe mehr lesen muszte.
Wenn ich es irgendwann wieder nach hause schaffen sollte, wird meine erste Taetigkeit, nach einem Bad, die Kuendigung meines Jobs sein.
Im Moment gibt es fuer mich aber keinen beszeren Ort, als dieses Flosz und diesen Ozean.
Fortsetzung folgt!
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