Sonntag, 20. September 2015

Tag 1334

Menschlichkeit, Menschlichkeit! Ich sehe nur Idioten, die mir auf den Sack gehen wollen!





Irgendwann im Juni 1972


Es scheint, als wuerde Paco nie wieder aufhoeren zu reden. 

Der gestrige Tag reichte aus, um seine gesamte Lebensgeschichte, bis zum heutigen Tag, kennenzulernen. 
Paco redete schneller als die meisten Menschen, die ich kannte. 
Manchmal fiel es mir schwer seinen Ausfuehrungen zu folgen. Paco schien dies allerdings wenig zu stoeren. Trotz, dasz ich nun flieszend Spanisch sprach, fand ich kaum die Gelegenheit, die neu erlernte Sprache zur Anwendung kommen zu laszen. Er liesz mich einfach nicht zu Wort kommen.
Die Freude darueber, innerhalb kuerzester Zeit eine neue Sprache erlernt zu haben, verflog bald. Meine neue Faehigkeit entpuppte sich als ein nervtoetender Fluch. 
Bevor ich in der Lage war, jedes einzelne seiner gesprochenen Woerter zu verstehen, erfreute ich mich am Klang seiner Stimme. 
Sein Gerede begleitete das Meeresrauschen und den Wind, der mal schwaecher und mal staerker, ueber das Flosz pfiff. 
Egal wie sehr mein Hirn versuchte, die an mein Ohr dringenden Woerter zu ignorieren, ich verstand sie trotzdem. 
Wann immer ich versuchte mich nur auf das Geraeusch der an das Flosz schlagenden Wellen zu konzentrieren, verstand ich Fragmente seiner Saetze. Es trieb mich in den Wahnsinn. 
Er bombardierte mich mit Geschichten ueber Fuszball, die Spieluhr seiner Nachbarin, die ihn jeden Morgen aus dem Schlaf risz, oder wie schwer es war, auf Kuba anstaendige Hemden in der Farbe Rot zu finden und so weiter und so weiter. 
Dieser Mann war geplagt von unzaehligen, mehr oder weniger ernsthaften, Problemen. 
Wie viele Therapeuten er wohl hatte? 
Fragen konnte ich ihn nicht, ich kam nicht zu Wort. 
Als ich mich niedersetzte, um diese Zeilen zu schreiben, stoerte dies Paco in keinster Weise. Er redete weiter auf mich ein. 
Um mich ein biszchen von ihm abzulenken, werde ich an dieser Stelle ueber meinen redseligen Freund berichten. 
Paco war aus Kuba. Bis vor wenigen Monaten lebte er in der Hauptstadt, Havana. 
In seiner Heimat hielt er es allerdings nicht mehr laenger aus.  
Nicht etwa weil er politisch verfolgt wurde. Es gab einfach keine anstaendigen Hemden in der Farbe Rot zu kaufen. 
In Amerika, so hoerte er die Leute sagen, gab es die besten Hemden in der Farbe Rot. 
Rot, so erzaehlten sie, sei eine Farbe, die in den USA sehr beliebt war. Hemden in der Farbe Rot waren dort in allen Nuancen zu finden. 
An so einem Ort wollte Paco zukuenftig leben. 
Ich musz gestehen, Paco trug ein sehr schoenes Hemd in der Farbe Rot. 
Um seinen Traum vom Leben im Land der roten Hemden zu verwirklichen, kehrte Paco seiner Heimat den Ruecken und machte sich auf den Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika. 
Auf einem Schlauchboot verliesz er den Hafen von Havana. 
Mit ihm wagte eine kleine Gruppe kubanischer Herrenausztatter die Flucht vom kommunistischen Eiland. 
Sie hatten Glueck und kamen wenige Tage spaeter unbeschadet in Florida an. 
Paco beantragte Asyl aus politischen Gruenden. 
Ein Beamter der Einwanderungsbehoerde deklariert ihn sofort als tapferen Antikommunisten, uebergab ihm ein Stapel Hemden in der Farbe Rot und bewilligte seinen Antrag. 
Nun muszte Paco sich nach einem Job umsehen, schlieszlich brauchte er Geld, um all die Hemden in der Farbe Rot bezahlen zu koennen. 
Trotz fehlenden musikalischen Begabung wird Paco profeszioneller Trompeter. 
Auf einem Kreuzfahrtschiff erhielt er eine Anstellung als Musiker in der Kasinoband. 
Der Job machte ihm Spasz. Er flirtete mit den amerikanischen Hausfrauen, die auf Abenteuer aus waren. Nach den Gigs trank er mit den anderen Musikern Rum, bis zum naechsten Gig. 
Wenn er von seinem Job erzaehlt geraet er ins Schwaermen. 
Eines abends jedoch, sie hatten soeben die letzte Seszion beendet, ereignete sich das verhaengnisvolle Unglueck. 
Paco war auf der Suche nach dem letzten, vollen Rumfasz, welches sich irgendwo im Lager versteckt hatte, als das Schiff, wie aus heiterem Himmel, sank. 
Wie es zu dem Schiffbruch kam, weisz er nicht. 
Paco erkannte sofort, dasz sein Leben in Gefahr war. 
Das Waszer stand ihm schon bis zu den Knoecheln, als er das letzte Rumfasz gefunden hatte. Er trank es in einem Zug leer, taumelte damit an Deck und sprang ins Waszer. 
Total besoffen trieb er auf dem leeren Rumfasz davon, waehrend das Schiff mitsamt seiner Paszagiere auf den Grund des Ozeans verschwand. 
Wie lange Paco auf dem Fasz ueber den Ozean trieb, weisz er nicht. Er war zu betrunken und erweckte erst, als ich ihn auf das Flosz geholt hatte. 
Seither ist fuer mich nichts mehr wie es war. 
Trotz seines unaufhoerlichen Gelabers, war ich froh, nicht mehr allein zu sein. 
Natuerlich wuerde ich irgendwann wahnsinnig werden und ihm an die Gurgel gehen. Noch war es aber nicht soweit. 
Ich hockte mich neben ihn und schaute ihm beim Schlafen zu. 
Ruhig und friedlich lag er da. 
Nachdem Paco verstummt war, konnte auch ich die Augen zu machen. 
Vielleicht wuerde er mich morgen einmal zu Wort kommen laszen...


Fortsetzung folgt!






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