Warum eigentlich?
"Hier, haste ne Pfanne!"
So oder so aehnlich laeuft es jeden Tag ab.
Juni 1972, Montag oder Dienstag, vielleicht auch Samstag
An Schlaf war nicht zu denken. Paco brabbelte und brabbelte die ganze Nacht.
Seine hohe Stimme drang durch die Algenkuegelchen, welche ich mir als Laermschutz in die Ohren gestopft hatte.
Wenn er seinen Redeflusz kurz unterbrach, dann nur, weil er wie ein Schulmaedchen zu kichern begann. Scheinbar hatte er zuvor etwas Lustiges erzaehlt, was ihn dazu veranlaszte darueber zu lachen.
Es gab aber auch Momente, da war seine Stimme in Trauer getraenkt. Dann schluchtzte er gar.
Einmal hatte ich ihn dabei erwischt, wie er zu weinen begann.
Grosze Traenen rollten ueber sein teigiges Gesicht.
So konnte ich unmoeglich schlafen.
Ich entfernte die Algen aus meinen Ohren, rutschte zu ihm hinueber und nahm ihn in meine duerren Arme.
Er schluchtzte, wischte sich mit meinem Hemdaermel die Traenen aus dem Gesicht und guckte mir tief in die Augen.
Der Himmel war klar, der naechtliche Regen war vorbeigezogen und der Mond erleuchtete die Nacht.
Ich konnte jede Furche in seinem Gesicht erkennen, jede Hautunreinheit sehen.
Paco erwiederte die Umarmung, indem er mich drueckte, dasz mir die Luft wegblieb.
Er sagte noch "Gracias" und heulte erneut.
Als ich mich aus Pacos Umarmung befreien konnte, hatte auch er sich wieder gefangen und von Neuem mit seinen Erzaehlungen begonnen.
Im Schneidersitz verharrend, beobachtete ich, wie dieser kleine, dicke Mann, die Nacht mit labern verbrachte.
Ich hatte mich an seine hohe Stimme und das Monotone in seinen Saetzen gewoehnt.
Es war nicht mehr nervig. Wenn ich ihn betrachtete, verspuehrte ich eine eigenartige Zuneigung.
Ich fragte ihn, ob er meine Sprache verstehe. Paco schaute mich verschaemt an und schuettelte den Kopf.
Noch bevor er abermal zu reden begann, er hatte gerade tief Luft geholt, legte ich ihm meinen Zeigefinger auf den Mund.
"Stop!", gab ich ihm zu verstehen.
Paco schaute mich unverstaendlich mit seinen groszen, haselnuszbraunen Augen an.
"Que...", setzte er an zu erzaehlen, als ich meinen Finger von seinen Lippen nahm.
"Nein!", schrie ich ihn an und hob den Zeigefinger.
Ein paar unverstaendlich Laute drangen aus ihm hervor, dann hielt er inne.
"So wird das nichts, Paco! Bring es mir bei! Bring mir deine Sprache bei!", wandte ich mich an meinen schiffbruechigen Kumpel.
Paco verstand nicht recht.
Wie konnte ich ihm meinen Wunsch verstaendlich machen?
Mit dem Zeigefinger deutete ich auf ihn und sprach:"Paco".
Danach zeigte ich auf mich und sagte:"Mortimer".
"Si, si, Mortimer!", erwiederte Paco und begann, mit breitem Grinsen, meine Hand zu schuetteln.
Was ich vor hatte sollte kein leichtes Unterfangen werden, doch ich gab die Hoffung nicht auf.
Ich begann mit dem Finger auf alle, mir zur Verfuegung stehenden, Gegestaende zu zeigen und forderte Paco auf, mir das spanische Wort dafuer zu verraten.
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was ich von ihm wollte.
Er fand schnell Gefallen an unserem kleinen Spiel.
Ich weisz nicht wie ich es geschafft hatte, aber als die Sonne aufgegangen war, beherrschte ich die Sprache perfekt.
In einer kurzen Nacht hatte mir Paco Spanisch beigebracht.
Er lobte mich fuer mein umfangreiches Vokabular und den sicheren Umgang mit der Grammatik.
Ich hatte Paco lieb gewonnen. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, warum ich seine Sprache so schnell erlernen konnte.
Ploetzlich war der kleine, dicke Fremde kein Fremder mehr.
Paco erzaehlte mir seine komplette Lebensgeschichte und noch viel mehr.
Ich erfuhr wer er war, woher er kam, was er dort tat und wie er in Seenot geriet.
Darueber werde ich allerdings erst spaeter berichten, denn Paco ist eben eingeschlafen.
Auch ich werde mich Schlafen legen, schlieszlich habe ich die ganze Nacht Spanisch gelernt.
Ich war froh, nicht mehr allein auf Hoher See zu sein und ein wenig unsicher, wie sich unser Zusammenleben auf dem Flosz entwickeln wuerde.
Fortsetzung folgt!
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