Donnerstag, 24. September 2015

Tag 1338

"Erscheinung, Erscheinung. Nichts ist wie es schien. 
Wir reisen zu zweit, auf holprigen Schien'." 

Na, vermiszt jemand Harry seine Gedichte?
Ich nicht! Ich lese lieber Tagebuch.



Sommer 1972



Noch immer werde ich von absurden Traeumen geplagt. 

So traeumte ich vom gesellschaftlichen Abstieg, vom Tod und von Siechtum. 
Soll dies der Vorbote meines baldigen Ablebens sein?
Seit Tagen habe ich nichts gegeszen. 
Heute Morgen erwachte ich, an meinem Hemdaermel kauend, aus dem Schlaf und stellte fest, dasz mir ein Schneidezahn ausgefallen war. 
Wenn nicht bald etwas geschehen sollte, wuerde ich als Leichnam, bis in alle Ewigkeit ueber den Ozean treiben. 
Unter meiner Schaedeldecke brannte ein unertraeglicher Schmerz. 
Ich versuchte mich ein biszchen abzulenken, meine Gedanken zu steuern, um den Albtraeumen zu entfliehen. 
Als ich noch in New York lebte, hatte ich mir stets vorgenommen, einen Roman zu schreiben. 
Wenn ich es erst einmal geschafft haette, ein Buch zu veroeffentlichen, haette ich meinen Job an den Nagel haengen koennen. 
Die taegliche, entmenschlichende Routine, all die kleinbuergerlichen Beschwerdeschreiben und das vorgegaukelte Bedauern, es rieb mich auf. 
Fuer einen jaemmerlichen Paycheck hatte ich mein Talent prostituiert. Es saugte mir die Lebensgeister aus dem Leib. Versetzte mich in eine Lethargie, die mich zu einem kreativen Krueppel machte. 
Als junger Mann hatte ich Ideen und schaeumte foermlich ueber, vor Tatendrang. 
Nun aber steckte ich fest in einer Sackgasze, aus der ich selbst nicht hinaus zu finden wuszte. 
Wahrscheinlich hatte ich den Job mittlerweile verloren. 
Ich hatte kein Zeitgefuehl mehr und wuszte auch nicht, welcher Tag oder Monat gerade war. 
Mein Urlaub war sicherlich schon laengst vorueber. 
Da ich immer noch fern von New York auf dem Ozean rumirrte und nicht zur Arbeit gehen konnte, hatte ich meine Anstellung bestimmt schon verloren. 
Es war mir recht. Ein Laecheln verformte meine gequaelten Gesichtszuege. 
Wenn ich das hier ueberleben sollte, hatte ich die Moeglichkeit endlich etwas Neues zu beginnen. 
Ich nahm mir vor, an meinem Roman weiterzuarbeiten. 
In den letzten Jahren hatte ich mehrfach versucht ihn zu verwirklichen. 
Doch aufgrund von Zeitmangel und kreativer Blockade, hatte ich nie mehr als ein paar Notizen zu Papier gebracht. 
Angetrieben von den vielen, abstrakten Traeumen, welche mich seit Pacos Verschwinden heimsuchten, fuehlte ich mich nun bereit, eine komplexe Geschichte zu entwerfen. 
Ich sah die Protagonisten, die Szenerie, die Hadlung und das Drama. Dialoge schoszen durch mein Hirn, wie Blutgerinnsel bei einem Schlaganfall. 
Ich schrieb jedes Wort auf, kein Gedanke sollte mir verloren gehen. 
Ich schrieb und schreib. 
Als mein Bleistift kaum noch zu greifen war und ich ihn bis zum Radiergummi weggeschrieben hatte, begann ich damit, meine Niederschrift zu rezitieren. 
Laut wollte ich die notierten Zeilen vorlesen und stellte schnell fest, dasz sich auf dem Papier nur eine grosze Anzahl unfoermiger Linien befand. 
Hatte ich eine Schlaganfall erlitten? Oder war meine Hand zu schwach gewesen, lesbare Buchstaben hervorzubringen? 
Sicher nicht, wie haette ich sonst mein Tagebuch schreiben koenne?!
Es gab nur eine Erklaerung. Vom kreativen Fieber getrieben, war ich nicht in der Lage meine Hand zu kontrollieren. 
So, wie die Gedanken aus meinem Hirn stroemten, stroemten auch die Linien auf meinen Schreibblock. 
Zu erkennen war da nichts, auszer einem Wirrwar, bestehend aus Linien und Kreisen. 
Verdammt!, dachte ich mir. 
Mein Verstand war heisz gelaufen. Bevor ich mich erneut ans Werk machen konnte, muszte ich zu Kraeften kommen, ein wenig ruhen. 
Fuer heute erklaerte ich den schoepferischen Prozesz fuer beendet. 
Ich nahm mir vor auszuschlafen und es Morgen noch einmal zu probieren. 
Heute gab es nichts mehr, was ich haette tuen koennen. 
Ich war gespannt, was der naechste Tag mir fuer Ideen bringen sollte.



Fortsetzung folgt.






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen